Unbeschwert leben trotz Kinderrheuma
Leonor liegt auf einem Bett in einem grossen Spitalzimmer im Universitäts-Kinderspital Zürich. Ihre Mutter Andreia sitzt auf einem Stuhl daneben. Vorhänge um das Spitalbett bieten den beiden etwas Privatsphäre. Die Sechsjährige hat leicht gelocktes Haar. Ihre grossen braunen Augen erkunden durch die filigrane Brille den Raum. Bereits seit Stunden seien sie hier, erzählt die zweifache Mutter. Der lange Aufenthalt ist Leonor nicht anzusehen. Sie lächelt, als sie sich ihrem Wimmelbuch widmet. Zwischendurch unterhält sie sich mit ihrer Mama auf Portugiesisch oder spielt mit ihr, während sie eine Infusion bekommt. Seit Leonor 2019 die Diagnose Rheuma erhielt, ist sie regelmässig im Spital.
Spritzen schlagen nicht an
Der Grossteil der jungen Rheuma-Patientinnen und -patienten kommt, je nach Aktivität des Rheumas, etwa vier Mal jährlich für Kontrolluntersuchungen ins Spital. «Leonor erhält bei uns monatlich eine Infusion», sagt ihre behandelnde Ärztin, Dr. med. Seraina Palmer Sarott.
Die Ärzteschaft passt die Therapien je nach Bedarf an. Sind nur wenige Gelenke betroffen, kann die Behandlung zunächst mit Cortisonspritzen in das betroffene Gelenk durchgeführt werden. Wenn das nicht reicht oder wenn viele Gelenke betroffen sind, beginnen die Betroffenen eine «Basistherapie». Meistens sind das Medikamente, die zuhause regelmässig gespritzt werden müssen. Die Dauer der Therapie beträgt mindestens anderthalb Jahre. In der Zeit nehmen die Patientinnen und Patienten Medikamente, die ihr Immunsystem modulieren. Ziel ist, dass die Medikamente das Auftreten von Entzündungen verhindern. Bei Leonor wirkten die Spritzen nicht genug, deshalb erhält sie die Medikamente über Infusionen im Kinderspital.
«Sie hatte immer Schmerzen beim Laufen»
Dass die Erkrankung in einem so jungen Alter diagnostiziert wurde, ist der Beobachtung von Leonors Mutter zu verdanken. «Sie fing gerade erst an zu laufen, hatte aber morgens Schmerzen und wollte immer auf den Schoss.» Als zusätzlich Leonors Knie anschwillt, suchen sich die Eltern medizinische Hilfe. Ein Orthopäde habe erstmals den Verdacht auf Arthritis, eine Entzündung des Gelenks, geäussert.
Unerwartete Diagnose
Ihre Kinderärztin überwies das Mädchen ans Kinderspital Zürich. Die Rheumatologie-Profis stellten Fragen, untersuchten Leonor klinisch, untersuchten ihr Blut, machten einen Ultraschall und ein MRI. Schliesslich bestätigt sich der Verdacht: Leonor hat Rheuma, ihre Gelenke sind chronisch entzündet.
Für die Eltern ein Schock: «Das ist eine Krankheit, die ich mit alten Menschen verbinde. Bei Kindern habe ich zum ersten Mal davon gehört.». Doch Rheuma betrifft sowohl Jung als auch Alt, sagt Palmer Sarott. Kinderrheuma gelte wegen der vergleichsweise wenigen Fälle als «seltene Krankheit». Am Kinderspital sind rund 250 Kinder und Jugendliche von einem Jahr bis 18 Jahren mit der Kinderrheuma, auch juvenile idiopathische Arthritis genannt, in Behandlung. Die Zahlen der Neuerkrankungen seien in den letzten Jahren etwa konstant geblieben.
Kindheit fast ohne Einschränkungen
Nach anfänglicher Verunsicherung merkt Leonors Familie schnell, dass sie gut mit der Krankheit zurechtkommt. Ihre Tochter habe viel Spass an ihren Hobbys Ballett und Schwimmen. Bewegung tue ihr gut, einzig Trampolinspringen sei heikel. «Leonor kann ein normales Leben führen. Sie hat zum Glück keine Schmerzen und leidet nicht unter der Krankheit», so Andreia. Seit der Erkrankung müsse die Familie mehr planen wegen der monatlichen Termine im Spital. Die Mutter ist dankbar über die persönliche Betreuung ihrer Tochter und fühlt sich im Kinderspital gut aufgehoben.
Dass Leonors Erkrankung chronisch ist und vermutlich nie wieder verschwindet, damit habe sich die Mutter mittlerweile abgefunden. Sie ist froh, ein so fröhliches Kind zu haben. «Podemos jogar?», fragt Leonor ihre Mutter und strahlt über beide Ohren. Ihre Infusion läuft noch immer. Doch nun ist es Zeit zu spielen.
Häufig gestellte Fragen
Die Oberärztin Rheumatologie Seraina Palmer Sarott beantwortet nachfolgend Fragen zum Thema Rheuma.
Bei Rheuma können eine familiäre Veranlagung und Umweltfaktoren eine Rolle spielen. Liegt eine Autoimmunerkrankung wie Psoriasis vor oder eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung, erhöht sich das Risiko für eine Autoimmunerkrankung in der Familie. Dazu zählt auch das Kinderrheuma.
Es ist auch möglich, dass ein Elternteil Rheuma hat, die Kinder davon jedoch nicht betroffen sind.
Zunächst führen wir eine klinische Untersuchung durch. Danach entnehmen wir Blut. Dabei versuchen wir, andere Krankheiten wie Infekte oder Tumore auszuschliessen. Es gibt Entzündungswerte oder spezielle Antikörper, die auf Rheuma hinweisen können. Allerdings gibt es auch Kinder mit unauffälligen Blutwerten, die trotzdem Rheuma haben.
In einem weiteren Schritt folgt ein Röntgen oder auch ein MRI. Am Ende fügen wir alle Befunde wie Puzzlestücke zusammen und können dann die Diagnose Rheuma stellen.
Bei Kindern, die eine medikamentöse Therapie erhalten, untersuchen wir alle ein bis drei Monate das Blut. Mittels Blutbild prüfen wir, ob die Medikamente gut vertragen werden. Danach folgt eine klinische Untersuchung. Dabei bewegen wir jedes Gelenk und tasten sie ab. Dieses Vorgehen ist bei Kindern Standard, da sie, im Unterschied zu Erwachsenen, oft nicht sagen können «Genau da tut es mir weh».
Bei der Untersuchung spüren wir, ob Körperstellen warm sind und ob es Schwellungen gibt. Auch ist für uns relevant, wenn Kinder gewisse Gelenke nicht gut bewegen können oder Schmerz zeigen.
Sollte die klinische Untersuchung, also das Abtasten von Hand, nicht eindeutig sein, machen wir ergänzend eine Ultraschalluntersuchung oder ein MRI.
Oft treten bei rheumaerkrankten Kindern zusätzlich Entzündungen im Auge auf. Deshalb gehen unsere Patientinnen und Patienten auch regelmässig zur augenärztlichen Kontrolle.
Die Behandlung erfolgt stufenweise und ist davon abhängig, wie viele Gelenke betroffen sind. Wenn wenige Gelenke betroffen sind, geben wir Cortisonspritzen direkt ins Gelenk, um die Entzündungen zu stoppen. Wenn das nicht reicht oder wenn viele Gelenke betroffen sind, starten wir zusätzlich mit einer Basistherapie. Diese dauert mindestens anderthalb Jahre. Dabei bekommen die Kinder immunmodulierende Medikamente gespritzt. Diese Therapie verhindert idealerweise, dass eine Entzündung überhaupt erst auftritt.