Mit viel Glück: Timothy überlebt 15‘000-Volt-Stromschlag
Die Lokomotive stand still da, im Dunkeln auf dem Abstellgleis – ganz ohne Absperrung. «Als sei sie ausrangiert.» So jedenfalls nahm es Timothy an jenem Abend vor sieben Jahren wahr, als er mit seinen Kollegen unterwegs war. Die Teenager packte der Übermut. Timothy kletterte die Wand des Zugs empor und war beinahe schon auf dem Dach, als ihn ein Lichtbogen erwischte. 15‘000 Volt Strom schleuderten ihn rücklings vier Meter in die Tiefe und verursachten schlimmste Verbrennungen.
Behandlung mit unzähligen Operationen
Timothy wurde bewusstlos und wachte erst im Kinderspital Zürich wieder auf. Die Spezialisten des Zentrums Kinderhaut erklärten ihm und seiner Familie, dass 40% seines Körpers wegen des Stromschlags verbrannt waren: Oberarme, Gesicht, Hals, Brust, Bauch, Hände sowie Teile seines Rückens. Zusätzlich hatte er beim Sturz einen Schädelbasisbruch erlitten.
In ersten Operationen säuberten die Spezialisten die Wunden, entfernten abgestorbenes Gewebe, pflegten die Verletzungen. Dann entschieden sie sich für eine lokale Hauttransplantation. Ein Chirurg entnahm Timothy Haut vom Oberschenkel und setzte sie an dessen Oberarm wieder ein, dort, wo die Verbrennung am schlimmsten war.
Bewegungslos und eingeengt
Es folgte ein mehrwöchiger Aufenthalt im Spital. An die 10 Operationen kann sich Timothy nicht mehr erinnern, sein Bewusstsein war durch Narkose- und Schmerzmittel häufig betäubt. Doch die Zeit danach wird er nie vergessen: Er musste tagelang regungslos im Bett liegen, trug dabei einen Kompressionsanzug, damit seine Haut besser heilen konnte. «Damals erreichte ich einen Tiefpunkt. Ich konnte mich nicht bewegen, nicht mal auf die Toilette gehen. Nachts tat ich kaum ein Auge zu, weil ich mich nicht auf den Bauch drehen durfte.» Seine Familie und Freunde besuchten ihn regelmässig, gaben ihm Zuversicht, stärkten seinen Willen.
Als das Schlimmste überstanden war, durfte Timothy nach Hause. Beendet waren die Torturen allerdings noch nicht: Timothy nahm noch monatelang Medikamente ein und trug den Kompressionsanzug. An Sport war nicht zu denken, Sonne musste er meiden.
Einfach nur Glück
Heute blickt Timothy zurück und weiss, dass er unglaubliches Glück hatte. Denn Unfälle mit Fahrleitungen enden häufig tödlich (wie Dr. Clemens Schiestl hier ausführt). Timothy hat überlebt. Mehr noch: Seine Narben und Wunden sind gut verheilt. Am Tag des Unfalls trug er zufälligerweise weder Halskette, Uhr (die Schmuckstücke waren einige Tage zuvor kaputt gegangen) noch Gürtel (den hatte er vergessen). Die Accessoires hätten den Stromschlag noch verstärkt und auf weitere Körperregionen ausgeweitet.
Dumm, peinlich und trotzdem wichtig
«Das war eine dumme und naive Aktion», bereut Timothy heute seine Tat. Zwar sei es ihm manchmal peinlich, darüber zu sprechen, doch ist ihm wichtiger, Menschen darauf aufmerksam zu machen. Noch immer klettern regelmässig Personen auf Züge und verunfallen dabei. «Damals wusste ich nicht, dass bei einem stehenden Zug die Leitung unter Hochspannung steht und es keine direkte Berührung sondern nur schon eine Annäherung an die Fahrleitung tödliche Verletzungen verursachen kann.» Aus seinem grossen Fehler sollen andere lernen. Denn nur die Wenigsten haben so viel Glück wie er.
Gemeinsam mit der SBB, dem Universitätsspital Zürich, der Beratungsstelle für Unfallverhütung und weiteren Partnern macht das Kinderspital aktuell in einer Kampagne auf die Gefahren aufmerksam, die von Fahrleitungen ausgehen. Mehr dazu erfahren Sie auf: www.happy-end.ch