Pflegefachfrau Françoise Jossi mit Patient
24.06.2020
Pflege

«Die grösste Herausforderung war, am richtigen Ort Prioritäten zu setzen»

Françoise Jossi hat drei Jahrzehnte auf der Intensivstation des Kinderspitals Zürich gearbeitet. Im Portrait erzählt die Pflegefachfrau, wie stark sich ihre Arbeit verändert hat und was nach wie vor ihre wichtigste Arbeitsregel ist.

Text: Gabriella Alvarez-Hummel

40 Jahre sind es jetzt, seit ich im Kinderspital Zürich meine Ausbildung zur KWS (Kinder-, Wochenbett- und Säuglingskrankenpflege) begonnen habe. In dieser Zeitspanne gab es unglaublich viele Veränderungen und Entwicklungen in meinem Beruf. Ich habe 33 Jahre – also den grössten Teil meiner beruflichen Tätigkeit – auf der Intensivstation (IPS) des Kinderspitals verbracht.

Die Arbeit bringt täglich neue Herausforderungen, die Eigenschaften wie Aufmerksamkeit, Flexibilität und Konzentration in hohem Masse fordern. Kein Tag gleicht dem anderen, es gibt praktisch keine sich wiederholenden Abläufe. Die Technik und medizinische Erkenntnisse sind in einer steten Entwicklung.

Fortschritt auf der Intensivstation

Wenn ich an die Anfänge meiner Zeit auf der Intensivstation zurückdenke und die Bilder dazu anschaue, wird mir erst richtig bewusst, welche Fortschritte passiert sind. Vor allem in der Technik. Durch die elektronische Patientendokumentation und erweiterte Überwachung gab es Verbesserungen und Entlastungen, jedoch auch neue Aufgaben für das Pflegepersonal. Für mich waren alle Aufgaben in der komplexen Tätigkeit wichtig. Die grösste Herausforderung während einem Arbeitstag war, jeweils am richtigen Ort Prioritäten zu setzen. Die wichtigste Regel gilt für mich auch noch heute: Die Patientin, der Patient und ihre Familien sollen im Zentrum unseres Alltags stehen. Das ist auch der Teil der Arbeit, der mir viel Zufriedenheit und Erfüllung im Beruf gegeben hat.

Mehr Anerkennung für die Pflege

Der ökonomische Druck und die erwünschte Wirtschaftlichkeit eines Spitals haben sich zunehmend bis ans Patientenbett bemerkbar gemacht. Ich finde es wichtig, mit den vorhandenen Ressourcen sorgfältig umzugehen. Das gilt für die verfügbare Zeit im Arbeitsalltag, für Material und natürlich auch für das Personal. Die Pflege ist ein attraktiver Beruf mit vielfältigen Möglichkeiten. Jedoch gibt es Bereiche, in denen es mehr Anerkennung für die Pflege brauchen würde. Meiner Meinung nach müsste zum Beispiel die Schichtarbeit besser entgolten werden.

Meine Zeit als Teamleiterin auf der IPS hat meinen Aufgaben natürlich nochmals einen anderen Schwerpunkt gegeben. Der Blick auf das Alltagsgeschehen wird erweitert. Die Ansprüche von Seiten des Teams und der Vorgesetzten konnten manchmal nicht gegensätzlicher sein. Es gibt jedoch immer wieder Momente, in denen deutlich zum Ausdruck kommt, dass schlussendlich alle dasselbe Ziel verfolgen: Unsere Bemühungen sollen dem Wohlergehen der Patienten dienen.

Völlig neues Arbeiten auf der Poliklinik

Seit zwei Jahren arbeite ich im ambulanten Bereich, in der Poliklinik. Ein komplett anderer Betrieb: Viele kurze und doch intensive Begegnungen. Ich arbeite in einem kleinen Team, was ich nach all den Jahren mit täglich wechselnden Schichtzusammensetzungen sehr schätze. Es ist eine andere Geschäftigkeit und ich kann auch sagen, dass ich jeglichen Situationen mit Gelassenheit und Ruhe begegnen kann.

Die Verbindung zur Intensivstation besteht weiterhin durch meine gelegentlichen Careteam-Einsätze, die ich in meiner Freizeit leiste. Diese finden zum grossen Teil auf der IPS statt. Dabei kann ich aus meiner vielfältigen Erfahrung bei Sterbebegleitungen und Kriseninterventionen profitieren und das behandelnde Team mit der Betreuung der Angehörigen unterstützen.

In einem Jahr werde ich meine Tätigkeit im Kinderspital beenden. Ich freue mich auf die Zeit, wenn ich mich voll der Aufgabe als Gastgeberin meines kleinen B&B mit dem grossen Garten und vor allem auch meiner Familie widmen kann.