Kinder hören Frau zu
19.05.2021
Corona

Wenn die Maske das Lippenlesen verhindert

Für Menschen mit Hörminderung ist die pandemiebedingte Maskenpflicht ein grosses Problem. Lippenlesen ist nicht mehr möglich und die Masken dämpfen die Sprechlautstärke. Eine betroffene Familie erzählt.

Interview: lic. phil. Lieve Romanino, Psychologin am Kinderspital Zürich 

 

Lynn und Livio, zeigt mir mal eure Hörgeräte?

Lynn: meine sind rosarot.

Livio: meine sind hellblau.

Mutter ergänzt: Livio hat eine leichte bis mittelgradige Hörminderung, Lynn eine mittelgradige. Die Kinder müssen einmal jährlich für eine Hörmessung ins Kinderspital. Dabei schaut das ORL-Team die Hörkurve an, passt das Hörgerät an und wir haben ein Gespräch mit der ORL-Ärztin, die den Kindern auch kurz in die Ohren schaut.

 

Seit einem Jahr müssen alle Mitarbeitenden des Kinderspitals sowie eure Lehrpersonen eine Maske anziehen. Wie ist das für euch?

Lynn: Ich verstehe die Menschen im Kinderspital recht gut. Sie müssen einfach laut und deutlich sprechen. Die Lehrpersonen verstehe ich auch. Bei den Mitschülern ist es etwas schwieriger, da sie oft leiser reden. Aber der Lehrer versteht ja auch nicht immer alle Schülerinnen.

Livio: Ich muss in der Schule zum Glück keine Maske tragen. Manche Menschen reden leise, die verstehe ich mit der Maske gar nicht gut. Beim Vorlesen nimmt meine Lehrperson für mich extra die Maske kurz ab.  Meine Audiopädagogin (Anm.: auf Hörbeeinträchtigung spezialisierte Heilpädagogin) trägt eine Maske mit einem Sichtfenster. Das ist super, denn dann kann ich trotzdem von ihren Lippen ablesen!

 

Was macht ihr, wenn ihr etwas nicht versteht, traut ihr euch dann, es zu sagen?

(Beide lachen verlegen) Nein.

 

Frau Keller, Sie haben selber eine Hörminderung. Wie hat sich die Kommunikation für Sie seit der Maskenpflicht verändert?

Ich verstehe, dass die Maskenpflicht medizinisch notwendig ist. Aber für mich hat sie die Kommunikation schon sehr erschwert. Ich habe eine stärkere Hörminderung als meine Kinder und lese dem Gegenüber normalerweise von den Lippen ab. Mit der Maske fehlt nicht nur dies, sondern auch die Mimik. Dazu kommt, dass alles leiser ist. Bei dicken Stoffmasken habe ich jeweils den Eindruck, dass sie den ganzen Schall schlucken. Ich werde mich sehr freuen, wenn wir die Masken endlich nicht mehr tragen müssen!

 

Worauf können Mitmenschen mehr achten?

Es hilft, wenn man lauter spricht, als man sich gewöhnt ist, und vor allem deutlicher. Wichtig ist, dass man zu uns spricht, also sich nicht abwendet. Und wenn es wirklich mal zu einer Kommunikationspanne kommt, hilft es schon, die Maske kurz abzunehmen.

 

Herr Keller, wie können Sie als hörender Vater ihre Kinder in der Kommunikation unterstützen?

Der Augenkontakt und die richtige Körperhaltung sind für unsere Kinder sicherlich am Wichtigsten. In unserem Umfeld sind alle sensibilisiert und passen sich in der Kommunikation an. Seit längerem begleitet ausserdem eine Audiopädagogin unsere Kinder. Sie hat seit dem Kindergarten auch die Unterstützung der Schule übernommen, wo sie einmal jährlich eine sogenannte Empathie-Stunde mit der Klasse durchführt, damit die Schülerinnen und Schüler auf spielerische Weise lernen, was eine Hörminderung ist und was sie mit sich bringt.

*Das Kinderspital sensibilisiert die eigenen Mitarbeitenden im Umgang mit hörbeeinträchtigten Kindern und Eltern. Nach diesem Interview haben wir zertifizierte Hygienemasken mit Sichtfeld angeschafft, die wir in der Kommunikation mit hörbeeinträchtigten Menschen einsetzen können. Bei gehörlosen Personen ziehen wir zusätzlich Schrift- oder Gebärdendolmetscher/innen bei.