Leberhormon mit positivem Einfluss auf das Körpergewicht
Immer mehr Menschen weltweit sind übergewichtig oder leiden sogar an Fettleibigkeit, einer sogenannten Adipositas. Aufgrund des dramatischen Anstiegs in den letzten 50 Jahren spricht die Weltgesundheitsorganisation inzwischen von einer «Adipositas-Pandemie». Auch Kinder und Jugendliche sind betroffen. Die Zahl übergewichtiger und adipöser Kinder und Jugendlicher wurde 2015 weltweit auf über 340 Millionen geschätzt, was einer Häufigkeit von zirka 20 Prozent entspricht. Adipositas ist charakterisiert durch eine übermässige Zunahme von weissem Fettgewebe, welches überschüssige Kalorien speichert. Sie geht mit einem erhöhten Risiko für Folgekrankheiten einher: etwa Typ 2 Diabetes mellitus, Leberverfettung, Herz-Kreislauf-Krankheiten oder Tumoren. Die wirkungsvollste Behandlung der Adipositas ist eine Reduktion der Kalorienzufuhr und eine Steigerung der körperlichen Aktivität – allerdings gelingt dies häufig nicht ausreichend.
Bisher ist auch eine medikamentöse Behandlung der Adipositas und ihrer Komplikationen wenig wirksam. Unsere Forschungsgruppe versucht deshalb, die Entstehung der Adipositas besser zu verstehen, mit dem Ziel, neue Angriffspunkte für therapeutische Interventionen zu finden.
Adipositas stresst den Körper
Die Entstehung einer Adipositas lost in verschiedene Geweben und Organen eine Stressreaktion aus: etwa in der Leber, im weissen Fettgewebe, im Gehirn und in der Bauchspeicheldrüse. Im Rahmen dieser Stressreaktion wird eine Stresskinase ASK1 (Apoptosis Signalregulating Kinase 1) aktiviert. Kinasen (Phosphotransferasen) sind eine grosse Familie von Enzymen, die auf und in Zellen an der Weiterleitung und Verstärkung von Signalen beteiligt sind. ASK1 «sammelt» also verschiedene Stresssignale in der Zelle, verstärkt diese und aktiviert dadurch andere Signalwege, wie beispielsweise eine Entzündungsreaktion. Diese Reaktionen tragen dann zur Entstehung der oben genannten Folgekrankheiten bei.
Stresskinase schützt Mäuse vor Übergewicht
Im Rahmen der Adipositas wird ASK1 in der Leber aktiviert. Unsere Forschungsgruppe hat deshalb die Hypothese aufgestellt, dass eine verminderte Aktivierung von ASK1 die Leber vor einer Adipositas-bedingten Leberverfettung schützt. Um dies zu überprüfen, haben wir Mäuse gezüchtet, denen ASK1 – spezifisch in den Leberzellen – fehlt. Entgegen unserer Hypothese zeigten aber diese Mäuse eine vermehrte Adipositas-induzierte Leberverfettung gegenüber Mäusen mit normalem ASK1-Gehalt in den Leberzellen.
Aus dieser Beobachtung folgerten wir, dass eine Hochregulierung von ASK1 vor einer Leberverfettung schützen konnte. Um diese Frage untersuchen zu können, züchteten wir Mause mit einer erhöhten ASK1-Konzentration in der Leber und setzten sie einer fettangereicherten Diät aus. Zu unserer Überraschung waren diese Mäuse nicht nur vor einer Leberverfettung, sondern auch vor einer übermässigen Gewichtszunahme geschützt, das heisst, das Körpergewicht dieser Mäuse blieb trotz der hochkalorischen Diät im Bereich von normal ernährten Tieren (siehe Abbildung). Dabei fanden wir heraus, dass Mäuse mit einer erhöhten ASK1-Konzentration in der Leber mehr Energie verbrauchten: Sie wiesen eine gesteigerte Fettverbrennung im weissen Fettgewebe auf.
Beim Kontrolltier («Wildtyp»-Maus) führt die hochkalorische Diät zu einer Leberverfettung sowie zu einer übermassigen Zunahme von weissen Fettzellen. Dagegen kann die gezüchtete Maus mit erhöhter ASK1-Konzentration in der Leber ihr Gewicht trotz der fettreichen Nahrung halten und ist vor einer Leberverfettung geschützt. Grund dafür ist der erhöhte ASK1-Spiegel dieser Maus: Die Stresskinase ASK1 kurbelt die Produktion des Wachstumsfaktors FGF21 an, der die Aktivierung von braunen Fettzellen anregt. Diese wiederum sind verantwortlich für einen gesteigerten Energieverbrauch im weissen Fettgewebe.
Eine mögliche Grundlage zur Entwicklung eines Medikaments
Wie führt nun aber eine Hochregulierung von ASK1 in der Leber zu einer vermehrten Energieverbrennung im Fettgewebe? Wir konnten zeigen, dass ASK1 die Produktion des Wachstumsfaktors «Fibroblast Growth Factor 21», kurz FGF21, in der Leber steigert. Aus früheren Publikationen geht hervor, dass FGF21 den Energieverbrauch in Nagern hochreguliert und sie so vor der Entstehung einer Adipositas schützt. Aktuell untersuchen wir in unserem Labor, wie eine Hochregulierung von ASK1 zu einer vermehrten Produktion und Absonderung von FGF21 in der Leber fuhrt. Die Entschlüsselung dieses Signalweges könnte als Grundlage dienen, um ein Medikament zu entwickeln, welches die Produktion von körpereigenem FGF21 stimuliert: eine Pille, die den Körper vor der Entwicklung von Übergewicht schützt.
Text: Anne Goergen, Illustration: Susanne Staubli