Zürcher Longitudinalstudien
Gesundheit und Entwicklung über die Lebensspanne (ZLS-Lifespan)
Die Studien untersuchen die Gesundheit und Entwicklung von der Geburt bis ins Erwachsenenalter.
Die Zürcher Longitudinalstudien (kurz: ZLS) umfassen mehrere umfangreiche Langzeitstudien, die seit den 1950er-Jahren am Universitäts-Kinderspital Zürich durchgeführt werden. Die Studien hatten ursprünglich zum Ziel, verschiedene Bereiche der kindlichen Entwicklung genau zu beschreiben und somit Entwicklungsverläufe besser zu verstehen. Insgesamt wurden im Rahmen der ZLS über 1'000 Kinder von der Geburt bis ins junge Erwachsenenalter untersucht.
Im Jahr 2019 wurden die Studien wieder aufgenommen und werden nun im Erwachsenenalter weitergeführt – somit entsteht aktuell eine einzigartige Lebensspannen-Studie. Dies ermöglicht es zu untersuchen, welche Faktoren in der Kindheit und Jugend die Gesundheit und das Wohlbefinden im Erwachsenenalter beeinflussen.
Weitere Informationen zur Geschichte und zum Stand der ZLS finden Sie in den ZLS-News 2021 und ZLS-News 2022 und im Kurzfilm über die Studien.
Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gründete die französische Regierung in Paris gemeinsam mit UNICEF das Centre International de l'Enfance – das Internationale Zentrum der Kindheit. Eine der Hauptaufgaben des Zentrums war die Koordination verschiedener europäischer Langzeitstudien zur Erforschung der kindlichen Entwicklung. Diese Studien wurden unter anderem in Paris, Brüssel, London und Stockholm durchgeführt. Im Jahr 1954 startete auch das Kinderspital Zürich eine solche Studie – dies war der Beginn der ZLS.
Die erste Zürcher Longitudinalstudie (ZLS-1) unter Leitung der Professoren Andrea Prader und Guido Fanconi untersuchte mehr als 400 gesunde Kinder in regelmässigen Abständen ab dem Zeitpunkt ihrer Geburt über die gesamte Kindheit und Jugend hinweg bis ins junge Erwachsenenalter. Das Ziel der Studie war es, die körperliche, motorische, geistige und soziale Gesundheit und Entwicklung von Kindern zu untersuchen und das Umfeld, in dem ein Kind aufwächst, genau zu beschreiben.
In den 1970er Jahren wurden dann unter der Leitung von Prof. Remo Largo zwei weitere Studien gestartet: Die ZLS-2 untersuchte ab 1974 ungefähr 160 frühgeborene und 100 termingeborene Kinder, die ZLS-3 – auch Generationenstudie genannt – untersuchte ab 1970 mehr als 320 Kinder von Teilnehmenden der ZLS-1.
Zu Beginn der 2000er-Jahre ruhten die ZLS für einige Zeit. Dank neuer Finanzierung wurden die Studien 2017 «wiederbelebt»: Unter der Leitung von Prof. Oskar Jenni, dem Co-Leiter der Abteilung Entwicklungspädiatrie am Kinderspital Zürich, entwickelte das Studienteam das Folgeprojekt ZLS-Lifespan. Das Ziel von ZLS-Lifespan ist es, die ZLS im Erwachsenenalter weiterzuführen:
Wir möchten die Gesundheit und Entwicklung über die Lebensspanne (engl. Lifespan) beschreiben und verstehen. Uns interessiert, welche Rolle die Kindheit und Jugend dabei spielen, wie es jemandem im Erwachsenenalter geht. Sind z. Bsp. Kinder, die sich motorisch früh entwickelt haben auch als Erwachsene besonders geschickt und sportlich? Sind Personen, die als Kind oft krank waren dies auch als Erwachsene noch? Inwiefern beeinflusst das familiäre und soziale Umfeld, in dem jemand aufwächst, den Lebensentwurf, den sie oder er als Erwachsener wählt?
Seit 2019 untersuchen wir die ehemaligen Teilnehmenden der 1. und 2. ZLS für ZLS-Lifespan. Die Teilnehmenden lösen dabei eine umfangreiche Sammlung von Aufgaben zur Beurteilung der körperlichen, mentalen, motorischen und sozialen Entwicklung und Gesundheit. Zudem beantworten sie einen Fragebogen zu ihren aktuellen Lebensumständen, ihrer Gesundheit, ihrem Wohlbefinden, ihrer Lebensqualität und verschiedenen anderen Bereichen ihrer Person. So versuchen wir einen umfassenden Einblick in die aktuelle Gesundheit und Entwicklung der Studienteilnehmenden zu erhalten.
Im Verlauf der letzten fünf Jahrzehnte wurden über 200 Beiträge mit Daten der ZLS in Büchern und Fachzeitschriften veröffentlicht. Nun verknüpfen wir die Kindheitsdaten mit den im Erwachsenenalter erfassten Daten und werten sie aus.
Eine detaillierte Beschreibung der ZLS wurde vor kurzem in der Fachzeitschrift Frontiers in Human Neuroscience veröffentlicht (Studienprotokoll)
Entwicklungskurven aus den ZLS-Daten
Aus den ZLS-Daten konnten Normkurven für verschiedene Entwicklungsbereiche abgeleitet werden. Die Erstellung solcher Normkurven war nur möglich, weil die ZLS-Teilnehmenden im Laufe ihrer Entwicklung immer wieder untersucht wurden und sich somit ein Entwicklungsverlauf aufzeigen lässt.
Die bekanntesten Normkurven sind diejenigen zum Grössenwachstum: Sie helfen Kinderärztinnen und Kinderärzten den Wachstumsverlauf eines Kindes im Verhältnis zu einer gesunden Normgruppe einzuschätzen. Aus den Daten der ZLS wurden auch Kurven zu weiteren Entwicklungsbereichen wie z. Bsp. dem Schlaf gewonnen, die noch heute in der klinischen Praxis angewendet werden.
Kinderhände automatisch vermessen
In Zusammenarbeit mit einem dänischen Forschungsteam wurde mithilfe der Handröntgenbilder der ZLS ein Computerprogramm (BoneXpert®) entwickelt.
Dieses vermisst Röntgenbilder von Kinderhänden nun automatisch und unterstützt damit die zuverlässige Diagnose von Wachstumsstörungen. Das Programm wird heute im Kinderspital Zürich wie auch in vielen anderen Kliniken weltweit eingesetzt.
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesundheit und das Wohlbefinden
Seit Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 wurden ungefähr 100 ZLS-Lifespan-Teilnehmende zu mehreren Zeitpunkten zu ihrer Gesundheit und ihrem Wohlbefinden befragt. Es zeigte sich, dass das körperliche Wohlbefinden über die Zeit stabil blieb. Das psychische Wohlbefinden hingegen nahm im Verlauf der Pandemie etwas ab im Vergleich zu vor dem Ausbruch. Im Durchschnitt entspricht dieser Rückgang nur einem sehr kleinen Effekt, die Unterschiede zwischen einzelnen Teilnehmenden sind jedoch gross. Interessanterweise spielt es für das körperliche und psychische Wohlbefinden während der Pandemie keine Rolle, ob man zu einer Risikogruppe für eine schwere Corona-Erkrankung gehört. Weitere Informationen zu den bisherigen Ergebnissen dieser Substudie finden sich hier (erste Ergebnisse vom Mai 2020, Zwischenstand vom Juni 2021).
- Stiftung. Für das Kind. Giedion Risch
- Velux Stiftung (Healthy Aging Research)
- Forschungszentrum für das Kind des Universitäts-Kinderspitals Zürich
- Stiftung für Wissenschaftliche Forschung an der Universität Zürich
- Maiores-Stiftung
- Baugarten-Stiftung
Einblick in die Zürcher Longitudinalstudien
Ein Film gibt Einblick in die Zürcher Longitudinalstudien.
Video: Mirko Bischofberger
Videointerview: Prof. Dr. med. Oskar Jenni über das Studienarchiv von Remo Largo
Quelle: CH Media, Severin Bigler/Niklaus Salzmann.
Zum Artikel der Aargauer Zeitung: «Papierenes Erbe – Remo Largos Schatz: Der Kinderarzt hinterlässt eine Million Blätter – das bringt seine Nachfolger unter Druck»