Leben mit neuer Haut
Text: Miriam Knecht, Fotos: Valérie Jaquet
Ein kühler, aber sonniger Nachmittag Ende März. Guus trägt über seinem schwarzen Pullover ein wattiertes Gilet mit Kapuze, dazu Jeans und Turnschuhe. Das kurze, dunkelblonde Haar ist lässig zerzaust. Ein ganz normaler Teenager halt. Einzig seine Narben, sichtbar im Gesicht und an den Händen, unterscheiden den gross gewachsenen 16-Jährigen von anderen in seinem Alter. Nur drei Monate vor diesem Treffen im Innenhof des Kinderspitals war Guus schon mal hier – als Patient. «Ich wollte die Narben auf meiner Brust verschönern lassen, dafür wurde mir Haut vom Bein verpflanzt», erzählt er. Zudem liess er auch einige Narbenstränge im Gesicht korrigieren.
Schon mehr als 50 Operationen überstanden
Laut Karin Willi, Pflegeberaterin der Plastischen Chirurgie am Kinderspital Zürich, ging es bei letzterem Eingriff nicht nur um den kosmetischen Aspekt. Die Operation ermöglichte auch, dass die Gesichtsmuskeln normal beweglich sind. «Die Narbenstränge werden z-förmig aufgeschnitten und dann wieder neu zusammengesetzt. Das vermindert die Spannung.» Karin Willi begleitet in ihrer Funktion Familien von brandverletzten Kindern von Anfang an. Sie ist ihre Ansprechperson, wenn sie Fragen oder Probleme haben. Denn im Spital sind die Betroffenen noch in einer Art geschützten Welt, aber wieder zu Hause erwartet sie dann ein ganz neuer Alltag: «Das Körperbild ist ein anderes, plötzlich wird ein Kind etwa in der Schule gehänselt. Oder es kann nicht mehr überall mitmachen, so wie früher.» Karin Willi leitet dann die nötigen Massnahmen ein, etwa eine Physiotherapie oder psychologische Betreuung, gibt Unterstützung in der medizinisch korrekten, aufwändigen Pflege der Narben. Wie viele Operationen hatte Guus schon seit seinem Unfall vor acht Jahren? Er muss kurz nachdenken. Sicher schon über 50 seien es gewesen, vermutet er. «Und Vollnarkosen waren es noch einige mehr, wenn man die Verbandswechsel mitzählt», fügt Karin Willi hinzu.
Im Ferienlager verbrannt
Es geschah im Sommer 2014. Der damals 7-jährige Primarschüler verbrachte die Ferien in einem Lager mit Kinderzirkus. Eine Gruppe Jugendlicher übte das Feuerspucken, dabei kam Brandbeschleuniger zum Einsatz. Plötzlich wurde Guus von Flammen erfasst, erlitt Verbrennungen dritten Grades auf 50 Prozent seiner Haut, im Gesicht, am Oberkörper, an den Armen und Händen. Die Ärztinnen und Ärzte am Kinderspital mussten eine grosse Menge Haut verpflanzen. Die meiste davon stammte von unversehrten Stellen an Guus’ Körper, vom Kopf und den Beinen. Dabei kamen verschiedene Verfahren zum Einsatz: Spalthaut-Transplantation sowie Vollhaut-Transplantation nach einer Haut-Expansion: Dabei wird gesunde Haut mit einem Wasserkissen über mehrere Wochen lang gedehnt und dann auf das verletzte Hautareal transplantiert.
Haut aus dem Labor ist noch nicht ganz gefühlsecht
Eine Stelle an Guus’ linkem Oberarm ist besonders speziell: Die verpflanzte Haut dort ist nämlich im Labor aus patienteneigenen Zellen entstanden. Ein Novum. Guus konnte damals an einer Studie teilnehmen. Unterscheidet sich diese im Labor hergestellte Haut von den anderen verpflanzten Hautteilen? Guus nickt: «Ich spüre dort weniger.» Ein Aspekt, an dem die Forschenden immer noch arbeiten. Sie beschäftigen sich seit über 20 Jahren mit diesem Hautersatz für Menschen, die etwa aufgrund von Verbrennungen auf Transplantate angewiesen sind. Die Haut aus dem Labor soll der natürlichen so ähnlich werden wie möglich, dieselbe Farbe haben, genauso elastisch sein, mit den Kindern mitwachsen. Und eben: empfindlich sein für Berührungen. Viele Teiletappen sind bereits gelungen, aber bis die Haut wirklich alle Erwartungen erfüllt, wird es noch dauern.
Narben können mit dem Wachstum nicht mithalten
Optisch würden sich die unterschiedlichen Transplantate schon unterscheiden, erklärt Pflegeberaterin Karin Willi, aus pflegerischer Sicht gebe es aber keine Unterschiede. So oder so würden die Narben beansprucht, wenn die Kinder wachsen. Sie lassen sich nicht genug dehnen, die Haut fängt an, unangenehm zu spannen, gewisse Bewegungen werden erschwert. Deshalb werden immer wieder Operationen notwendig. «Wir versuchen stets, die Eingriffe möglichst lange hinauszuschieben. Aber irgendwann können wir nicht mehr warten, weil es sonst den Gelenken schaden und die Kinder physisch oder psychisch in ihrer Entwicklung behindern kann.» Guus misst mit seinen 16 Jahren bereits 1.85m. Er könnte aber noch wachsen, bis er 20 ist. Das bedeutet, dass er wohl noch einige Operationen mehr über sich wird ergehen lassen müssen. Gleich nach dem Unfall hatte der damals 7-Jährige vier Monate stationär am Kinderspital verbracht, danach musste er fünf Monate in die Kinder-Reha Schweiz und dort viele Bewegungen wieder ganz neu lernen. Die Dehnungsübungen seien sehr schmerzhaft gewesen, erinnert er sich zurück. Lange trug er auch hautenge Kompressionsanzüge, Tag und Nacht. Diese sorgen dafür, dass die Narben möglichst glatt bleiben.
Mit den Blicken der Leute kann er umgehen
Heute ist das alles längst überstanden. Guus kommt noch ein- bis zweimal pro Jahr zur Kontrolle ans Kinderspital, gelegentlich ist ein Eingriff nötig – eben, weil ihn etwas kosmetisch oder in der Bewegungsfreiheit stört. Gerade gern sei er nicht hier, sagt er und lacht, er fühle sich am Kinderspital aber immer gut aufgehoben und super betreut. Ansonsten führt der Teenager ein ganz normales Leben: Er spielt gerne Fussball und Computer-Games, trifft Freunde, darf auch an die Sonne («Mit ganz viel Sonnencrème!»). Im Moment sei er mit seinen Narben zufrieden, so Guus. Sie seien stark verblasst, aber die transplantierte Haut fühle sich halt schon anders an als seine natürliche: «Sie ist weniger glatt und weich.» Mit den Blicken der Leute auf der Strasse kann er längst umgehen. Manchmal kämen auch Fremde auf ihn zu und würden Fragen stellen. Das sei ihm aber lieber, als dass er einfach nur angestarrt würde, sagt er.
«Ich habe es nicht schwerer als andere Jugendliche»
Schwerer als andere Jugendliche habe er es wegen seiner Haut nicht, ist er überzeugt. Aber etwas macht ihn nervös: Zurzeit ist er auf der Suche nach einer Lehrstelle als Hotelfachmann. «Ich möchte mit Menschen arbeiten und liebe Hotels!» Doch in der Berufsschule könnten die anderen Auszubildenden komisch auf ihn reagieren, befürchtet er. Weil er eben anders aussehe. Karin Willi, die Guus seit seinem Unfall kennt, ist zuversichtlich: «Ich habe ihn immer als aufgestellt und schlagfertig erlebt, ausserdem geht er sehr offen und selbstbewusst mit seinen Narben um, das finde ich schön zu sehen!»