Wenn Architektur den Menschen hilft, erfüllt sie ihren Zweck
Frau Binswanger, wie hebt sich der geplante Neubau des Kinderspitals Zürich von einem konventionellen Spital, einem Zweckbau, ab?
Beim neuen Kinderspital, wie eigentlich bei allen unseren Gebäuden, schauen wir uns ganz genau an, welche Bedürfnisse die Menschen haben, die sich hier aufhalten werden. In diesem Fall sind es neben den Mitarbeitenden natürlich vor allem die kleinen Patienten und ihre Familien. Sie sollen sich in dem Gebäude wohlfühlen, es soll ihnen keine Angst einflössen, wie das bei Zweckbauten manchmal der Fall ist. Deshalb wählten wir ein niedriges dreigeschossiges Gebäude mit unterschiedlichen, bepflanzten Innenhöfen. Wir verwenden viel Holz und andere natürliche Materialien. Es wird ein Haus sein, in dem man sich gut zurechtfindet. Der Aufbau des Spitals erinnert an eine kleine Stadt mit Gassen und Strassen, die mal breiter, mal schmaler sind, mit kleinen Plätzen zum Verweilen. Es gibt Treffpunkte und Rückzugsorte, die man im Lauf des Tages aufsuchen kann.
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit hat am Kinderspital Zürich grosse Bedeutung. Wie haben Sie diese Anforderung in Ihren Plänen berücksichtigt?
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit über räumliche Strukturen zu fördern, ist uns ein wichtiges Anliegen. In einer zunehmend komplexeren Welt ist das Aufbrechen bestehender Grenzen zwischen den Fachdisziplinen ein wichtiger Faktor, einerseits für den Erfolg einer Behandlung und andererseits für das Empfinden der Patienten, kompetent betreut zu werden. Die verbreitete Abgrenzung in einzelne abgeschlossene Funktionsbereiche behindert den Wissenstransfer und die Zusammenarbeit.
Wir versuchen mit unseren Gebäuden einen alternativen Weg anzubieten. Im Akutspital befinden sich zum Beispiel die Büroarbeitsplätze direkt oberhalb oder unterhalb der medizinischen Funktionsbereiche und gehen in einer flexiblen Bürolandschaft ineinander über. Die Grenzen zwischen den Abteilungen sind fliessend und können nach Bedarf verändert und angepasst werden. Hier arbeiten Ärzte, Pflegende und Mitarbeitende der Administration in einer Abfolge von offenen und geschlossenen Raumbereichen zusammen auf einem Geschoss. Das Gebäude für Labor, Lehre und Forschung (LLF) ist als Ganzes auf Zusammenarbeit hin ausgelegt. Es entwickelt sich über alle Geschosse hinweg um eine Mitte, in welcher die Erkenntnisse geteilt und weitergegeben werden.
Inwiefern ist der Bau kindgerecht?
Die geringe Gebäudehöhe nimmt schon einmal die Angst vor dem Spital, denken wir. Holz wird eine wohnliche Atmosphäre schaffen, so wie die feingliedrige Verwendung der Materialien insgesamt; aber auch, dass es an jedem Ort etwas anders aussieht, das Gefühl, dass es etwas zu entdecken gibt, das wird Neugier wecken, vielleicht ablenken. Besonders wichtig sind die Zimmer, weil die jungen Patienten und ihre Angehörigen hier sehr viel Zeit verbringen. Jedes ist wie ein einzelnes kleines Haus ausformuliert, mit unterschiedlich geneigten Schrägdächern. Das wird ein Gefühl von Geborgenheit geben, wie in einer Hütte oder einem selbst gebauten Baumhaus.
Und wie deckt der Bau die Bedürfnisse von Jugendlichen ab?
Für die Jugendlichen braucht es vor allem Rückzugsorte, denke ich mir. Davon gibt es viele, verteilt über die Geschosse und auch im Aussenbereich.
Die Erwartungen an den Neubau sind hoch, die Vorfreude gross. Möchten Sie den zukünftigen Nutzern des Kinderspitals etwas mit auf den Weg geben?
Unseren grossen Dank für das Vertrauen und die Vorschusslorbeeren. Wir hoffen, dass das neue Kinderspital dem Personal, den Patienten und deren Angehörigen gute Dienste erweisen wird. Dass Veränderung manchmal anstrengend ist, muss ich Ihnen nicht erläutern, und auch der Umzug selbst wird eine grosse Herausforderung sein. Es wird nicht alles besser werden auf der Lengg, aber hoffentlich vieles. Am Schluss sind die Mitarbeitenden diejenigen, die den Menschen helfen und sie wenn immer möglich wieder gesund machen – wenn das Gebäude dabei hilft, dann erfüllt es seinen Zweck.
Christine Binswanger (dipl. Arch. ETH) ist bei Herzog & de Meuron verantwortlich für den Neubau des Kinderspitals Zürich. Sie arbeitet seit 1991 bei Herzog & de Meuron und ist seit 2009 Senior Partner. Vor dem Kinderspital Zürich realisierte sie Projekte wie das REHAB Basel oder verschiedene Museen in zahlreichen Ländern.