Gabriel: Seiner Lunge fehlt die Luft
Im letzten Sommer: Elisabeth schaut den beiden Pflegefachfrauen auf der Intensivstation des Kinderspitals zu, wie sie ihr Baby Gabriel behutsam und fachmännisch aus dem Patientenbett heben. Ein Kunststoffschlauch führt aus dem pumpenden Beatmungsgerät in seinen Mund, eine Sonde über seinen Bauch in den Magen, Befestigungskleber bedecken Teile seines Gesichtchens. Endlich würde Elisabeth ihr 17-tägiges Baby zum ersten Mal in den Armen halten können.
Ein Loch sorgt für Chaos
Noch während der Schwangerschaft wurde bei Elisabeth bei einer Ultraschall-Untersuchung festgestellt, dass ihr Ungeborenes eine schwere Form der Zwerchfellhernie hatte. Sein Zwerchfell war nicht richtig zusammengewachsen. Dadurch waren seine Organe aus dem Bauch in den Brustraum hochgerutscht – sein Magen, Teile der Leber, des Darms und der Milz. Sie schränkten die Lunge ein und verdrängten das Herz, das sich in seiner rechten Brusthälfte neu einquartierte. Die Lunge konnte sich nicht richtig entwickeln. Deshalb schätzten Ärzte die Überlebenschancen für Gabriel sehr tief ein, lediglich 10 bis 15 Prozent. Als er dann im Sommer 2018 auf die Welt kam, nahmen ihn gleich mehrere Spezialisten in weissen Kitteln in Empfang und schlossen ihn direkt an ein Beatmungsgerät an. Gabriel konnte nicht selbständig atmen.
Seit Geburt am Beatmungsgerät
Nur wenige Tage nach der Geburt folgte die erste grosse Operation. Das Loch in Gabriels Zwerchfell wurde geschlossen, Darm, Leber und Milz wieder an ihren Platz im Bauch verlegt. Doch weil dieser zu klein war, mussten Teile des Darmtrakts in eine zylinderartige künstliche Vorrichtung ausserhalb des Bauchs ausgelagert werden. Jeden Tag wurde das längliche Organ stückchenweise in den Bauch zurückgeschoben, der sich dadurch langsam dehnte. Nun gewann die Lunge an Platz, um sich zu entfalten. Doch ohne künstliche Beatmung ging es weiterhin nicht.
Teil einer grossen Familie
Gabriel ist das jüngste von vier Kindern. Seine Geschwister besuchten ihn auf der Intensivstation. «So konnten sie nachvollziehen, wieso ihre Mama jeden Tag mehrere Stunden im Spital verbrachte», sagt Elisabeth. Anfangs plagte sie dabei ein schlechtes Gewissen. Gegenüber den Kindern zuhause, weil sie sie vernachlässigte. Aber auch gegenüber Gabriel, weil sie nicht ständig an seiner Seite war. «Doch sah ich ein, dass die wenigen Stunden in seiner Nähe viel wert waren, weil ich Gabriel meine ganze Aufmerksamkeit schenkte. Das wäre Zuhause gar nicht möglich gewesen.»
Erst Fortschritte, dann Rückschlag
Nach drei Monaten wurde Gabriel unerwartet früh aus dem Kinderspital entlassen. Er hatte alle überrascht: Sein Körper entwickelte sich gut, er war kräftig, atmete selbständig, lächelte häufig, war zufrieden und neugierig. Zuhause erwartete ihn der abwechslungsreiche Alltag der Grossfamilie, die sich rasch mit seinem Sauerstoffgerät und der Magensonde arrangierte. «Die ersten Wochen waren allerdings sehr intensiv. Fing Gabriel an zu weinen, nahm seine Sauerstoffsättigung rapide ab. Er geriet in Atemnot! Ich musste blitzschnell reagieren», erinnert sich Elisabeth.
Drei Monate ging zu Hause alles gut, Gabriel blühte auf, doch verschlechterte sich langsam seine Atmung. Im Kinderspital stellten die Ärztinnen und Ärzte fest, dass sein linker Lungenflügel zwar gewachsen war, aber nicht einwandfrei funktionierte. Sein rechter wurde durch das kräftige Herz bedrängt. Gabriel konnte dadurch aus eigener Kraft nicht ausreichend atmen. Ein weiterer chirurgischer Eingriff war nötig. Mittels der sogenannten Tracheotomie (Luftröhrenschnitt) legte ein Spezialist einen Zugang zu Gabriels Luftröhre, über den der Junge nun mithilfe eines Beatmungsgerätes optimal unterstützt wird.
Der Glaube gibt Kraft
«Ich hatte mein Baby Tag und Nacht bei mir und musste es für die Operation wieder im Spital zurücklassen, das brach mir das Herz», sagt Elisabeth. Die Mutter wusste aber, dass viele Menschen aus ihrem Umfeld ihrer Familie in schwierigen Zeiten beistehen: «Sie beten für Gabriel und schicken uns positive Gedanken. Das gibt uns die nötige Kraft.»
Auch wusste sie, dass sich die Pflegefachkräfte auf der Intensivstation fürsorglich um ihren Kleinen kümmerten: «Sie kennen Gabriel seit Geburt, zeigen viel Empathie, machen uns Mut, pflegen und unterhalten mein Baby.» Auch die Musiktherapeutin Rachel Gotsmann hat den munteren Jungen ins Herz geschlossen. Regelmässig musiziert sie mit Elisabeth und Gabriel zusammen.
Musik schafft Glücksmomente
Musiktherapie im Kinderspital Zürich: Gabriel hat sichtlich Freude daran
«Von der Musiktherapie* bin ich sehr positiv überrascht», sagt Elisabeth und fügt an: «Frau Gotsmann konzentriert sich auf die Qualitäten von Gabriel, sie weist mich auf sein Zwinkern hin, auf seine Füsschen, die gegen die Trommel schlagen, auf seine Finger, die mit der Rassel spielen.» Die Musik schafft dabei eine eigene Sphäre, in welcher die Spitalkulisse in den Hintergrund tritt und die Mutter schöne Momente mit ihrem Sohn geniessen kann.
*Die Musiktherapie ist ein spendenfinanziertes Angebot des Kinderspitals Zürich, um insbesondere Neugeborene, Säuglinge und deren Eltern auf den Intensivstationen zu unterstützen. Mit der Stimme werden die Basisfunktionen des Kindes (wie z.B. Atmung und Herzschlag) angeregt, dabei wird Stress reduziert und die Entwicklung des Kindes sowie der Eltern-Kind-Beziehung gefördert.