Eine Onkologiepatientin trägt eine Mütze und einen Pullover. Sie liegt auf dem Bett. Im Hintergrund sieht man den Oberkörper ihrer Mutter.
30.04.2024
Onkologie

Wenn das Leben wegen einer Krebsdiagnose pausiert

Michelle wollte ihre Lehre als Coiffeuse antreten, als bei ihr ein Tumor im Knie diagnostiziert wurde. Ein grosses Team aus Fachpersonen leitete sofort eine intensive Behandlung inklusive Chemotherapie ein, die leider auch zum Verlust ihrer Haare führte – ein weiterer schwerer Schlag für die Jugendliche. Trotz der Herausforderungen kann Michelle auf die Unterstützung ihrer Familie und unserer Profis zählen. Heute geht es ihr wieder gut.

Die angehende Coiffeuse hatte ihren Lehrvertrag bereits unterschrieben und freute sich, ihren Traumberuf zu erlernen, als plötzlich alles in Frage gestellt wurde. Im August letzten Jahres wurde bei Michelle Krebs diagnostiziert. Alles begann mit Schmerzen im Kniegelenk. Bei der damals 16-Jährigen wurden erst ein Kniescheibenhochstand vermutet. Doch die Schmerzen kamen und gingen, bis sie eines Tages trotz Schmerzmittel nicht mehr auszuhalten waren. Im Notfall des nahe gelegene Spitals zeigte sich dann bei einem Ultraschall ein Tumor im rechten Knie, eine Gewebeprobe bestätigte die Diagnose Knochenkrebs.

Abwechslung im Spitalalltag

Von da an ging es Schlag auf Schlag. Der Tumor musste so rasch wie möglich behandelt werden. Vor der Operation zur Entfernung des bösartigen Tumors benötigte Michelle über zehn Wochen hinweg Chemotherapie. Statt an einem Eishockey-Match musste die begeisterte Anhängerin des HC Ambrì-Piotta daher viel Zeit bei uns am Kinderspital Zürich verbringen, unterbrochen von zweiwöchigen Aufenthalten Zuhause. In einem Tagebuch wollte sie diese intensive Zeit verarbeiten. Doch nach ihrem Eintrag am ersten Tag fühlte sie sich so schlecht, dass sie nichts weiter reinschrieb. 

Geholfen habe ihr hingegen das Malen. Dank der Kunsttherapie – welche das Universitäts-Kinderspital Zürich dank Spenden als Unterstützung des Heilungsprozesses ihren jungen Patientinnen und Patienten anbieten kann – konnte Michelle sich vom Spitalalltag und der schwierigen Situation ablenken und kreativ sein. «Es befreit», sagt Michelle mit strahlenden Augen. «Es gefällt mir auch, dass es hier nicht wie in der Schule bewertet wird. Ich kann einfach drauflosmalen. Ohne Druck.» Michelle sei immer schon sehr kreativ gewesen, erzählt die Mutter. Das Malen war also naheliegend.

Eine Onkologiepatientin sitzt mit Mütze und T-Shirt an einem Tisch. In der Kunsttherapie malt sie ein Bild mit der Kunsttherapeutin.

Enge Zusammenarbeit der Profis auf Augenhöhe

Dank der engen und guten Zusammenarbeit des tumororthopädischen Teams der Universitätsklinik Balgrist sowie unseren Profis der Onkologie und Orthopädie konnte der Tumor komplett entfernt werden; die Jugendliche bekam zudem eine Tumorprothese als Ersatz des Kniegelenks. Anschliessend musste sich Michelle während mehrerer Monate einer zweiten Chemotherapie unterziehen. «Dies zur Sicherheit, um auch einzelne verbliebene Zellen zu behandeln und die Chancen auf Heilung weiter zu erhöhen», sagt die Onkologin und behandelnde Oberärztin Eveline Stutz-Grunder. 

Ihre Lehrstelle anzutreten, daran war weiterhin nicht zu denken. In dieser anspruchsvollen Zeit begleitete sie nicht nur ihre Familie Tag und Nacht, auch unsere engagierten Ärztinnen und Pfleger standen stets an ihrer Seite, unterstützt etwa durch das psychologische Team oder der Sozialberatung. Sie und unsere ärztlichen Profis nahmen sich die nötige Zeit für Gespräche mit ihr und den Eltern, hatten ein offenes Ohr für Ängste, Sorgen und Nöte, machten ihr Mut, zeigten auf, dass sie wieder ohne Krücken wird gehen können und erklärten Schritt für Schritt, wie die Therapie aussieht und was sie mit sich bringt. Sie organisierten die regelmässige Physiotherapie oder auch die Kunsttherapie als Ausgleich zum Spitalalltag. Diese Therapiestunden finden jeweils direkt im Spitalzimmer statt, denn während einer Chemotherapie dürfen Patientinnen und Patienten die onkologische Station nicht verlassen.

Unterstützung an guten und schlechten Tagen

Geholfen in dieser Zeit haben nebst der Maltherapie auch die Spitalclowns des Kinderspitals Zürich. «Als es mir wegen einer Gastritis sehr schlecht ging und mir ständig übel war, kamen Dada, Giga und Knopf vorbei», erinnert sich Michelle. «Das war der beste Untersuchungstag von allen. Wir haben Stadt-Land gespielt und viel gelacht. Das hat mich und meine Mutter von den Untersuchungen und dem konzentrierten Gesicht des Arztes abgelenkt.» Wie ihre Bilder erzählt auch die lange, farbige Kette am «Chemobaum» Michelles Geschichte ihres Spitalaufenthaltes. Für jede Untersuchung oder Behandlung erhielt sie eine entsprechende «Perle» geschenkt, auch für die guten und die schlechten Tage. Die Kette umfasst mittlerweile über 200 Einzelteile. Wofür der Muffin oder die grosse rote Perle steht, weiss sie noch sehr genau. Den Beutel dazu hat die Grossmutter extra für die Kette genäht.

Eine Onkologiepatientin trägt eine Mütze und einen Pullover. Sie steht und hält eine Perlenkette mit sogenannten "Mutperlen" in die Luft.

Michelle trägt ihre rosa Mütze mit dem doppelten «W» für Wincent Weiss, sie mag den deutschen Musiker. Seit Beginn ihres Haarausfalles aufgrund der Chemo hat sie eine Perücke mit langen braunen Haaren. «Meine Haare zu verlieren war fast das Schlimmste,» sagt Michelle leise, «sie waren das Schönste an mir.» Diese Tage wurde die heute 17-Jährige aus dem Kinderspital Zürich entlassen, die Therapie konnte nach über neun Monaten erfolgreich abgeschlossen werden. Es bleiben die Nachsorge und regelmässige Kontrollen. Bis im August nun will sie wieder fit und voller Energie sein. Denn dann kann sie endlich ihre Ausbildung als Coiffeuse antreten. Der Lehrbetrieb hat ihren Ausbildungsplatz extra für sie freigehalten.